Berliner Wirtschaft 10/2020

Durch die Corona-Krise drohen Frauen, in alte Rollen zurückzufallen. Nun geht es darum, sich noch beherzter für die Gleichstellung zu engagieren von Julian Algner Yes, we can! E ine Krise ist auch eine Zeit für gesell- schaftlichen Fortschritt. Gleichstellung und das Verfolgen aktiver Gleichstel- lungspolitik gehören dazu. Es darf nicht passieren, dass ambitionierte Frauen durch die Corona-Krise zurückgeworfen werden und ent- stehende Führungslücken durch Männer besetzt werden. Damit verlieren sie nicht nur an Gleich- stellungserfolgen der letzten Jahre, sondern ebenso an Innovationsfähigkeit und einemwich- tigen Stück Wirtschaftskultur. Die Flexibilisierung von Arbeitszeitmodel- len ist für Unternehmen ein erster proaktiver Ansatz. Dabei reicht die Gestaltungsmöglichkeit von Teilzeitmodellen, Gleitzeit, Funktionszeit bis hin zuWahlarbeitszeit. Die Initiative „Chefsache“ ermittelte, dass sich 76 Prozent der Dual-Career- Paare flexible Arbeitszeitmodelle wünschen und 64 Prozent die Möglichkeit des ortsunabhängigen Arbeitens begrüßen. „Wir haben positive Erfahrungen mit Lang- zeitkonten zum Stundensammeln und entspre- chendem Freizeitausgleich gemacht“, erzählt Larissa Zeichhardt von LAT im Rahmen des Online-Erfahrungsaustausches der IHK Berlin zum Thema Female Leadership. Ebenfalls helfe der Dialog, so Zeichhardt, wenn beispielsweise die Kita erst um 10 Uhr öffnet. Dafür wurden bei LAT Vertretungspläne eingeführt, die auch kurzfris- tig Flexibilität ermöglichen. „Wir haben gemerkt, dass es Männern nach wie vor schwerfällt, das Thema Teilzeit zu thematisieren, und Einzelent- scheidungen durch Druck im Team erschwert werden“, sagt Zeichhardt. Die Berliner Wasserbetriebe gehen hier einen neuen Weg: „Teilzeit heißt bei uns jetzt Voll- zeit-Flex und wird mit einem Anteil von 30 Pro- zent imUnternehmen sehr gut angenommen. Wir haben die Umbenennung gewählt, da Teilzeit in der männlichen Belegschaft oft negativ konno- tiert ist“, erklärt Kerstin Oster, dortige Vorstän- din für Personal und Soziales. Die AllBright Stif- tung hat nachgewiesen, dass viele Betriebe eine Pfadabhängigkeit in ihremRecruiting aufweisen, wodurch qualifiziertes weibliches Fachpersonal oft ausgeschlossen wird. Diese Pfadabhängigkeit, die auf lange Sicht zu „group thinking“ führt, gilt es zu durchbrechen. Es mangelt dem Unter- nehmen dadurch an frischen Ansätzen, und die Innovationsfähigkeit wird eingeschränkt. „Laut dem Frauen Karriere Index stellen 100 Prozent der Unternehmen eine höhere Veränderungsbe- reitschaft fest, wenn Teams gemischt sind. Das ist gerade hinsichtlich Resilienz in Krisenzeiten enorm wichtig“, sagt Larissa Zeichhardt. Unternehmen können auch proaktiv bei der Sichtbarkeit von weiblichen Führungskräften vorangehen – ein Thema, das unumgänglich mit Rollenvorbildern verknüpft ist. So etwa, indem sie weibliche Präsenz bei wichtigen Kernprozes- sen erhöhen. Für die Außerdarstellung bedeutet das: Besser einmal mehr der weiblichen Füh- rungskraft aus dem mittleren Management eine Plattform geben, als immer den (männlichen) Geschäftsführer wählen. Spezielle Laufbahn- und Netzwerkmöglichkeiten fördern Frauen ebenfalls. Die Berliner Wasserbetriebe haben in Kulturwandel vorantreiben Die Kampagne „Gleich- stellung gewinnt“ bietet Umsetzungstipps. gleichstellung-gewinnt.de ILLUSTRATION: SHUTTERSTOCK/HELEN STEBAKOV; FOTOS: MARCUS ZUMBANSEN, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG FACHKRÄFTE | Female Leadership 52 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 10 | 2020

RkJQdWJsaXNoZXIy MzI1ODA1