Berliner Wirtschaft 1/2021

zu institutionalisieren, brauche es Zeit. „Wir sehen aber Offenheit und großes Interesse aufseiten der Stadtverwaltungen für das Thema.“ Dass sich Urban Farming durchsetzen wird, davon ist auch Dr. Daniel Hönow, Nachhaltig- keitsmanager der IHK Berlin, überzeugt: „Die urbane Landwirtschaft ist witterungsunabhän- gig, energieeffizient und platzsparend und damit ein wichtiger Zukunfts- und Wachstumsmarkt. In Berlin hat er das Potenzial, die Erzeugung in ländlichen Gebieten sinnvoll zu ergänzen.“ Die rund 40 landwirtschaftlichen Betriebe der Hauptstadt – darunter das Landgut der Domäne Dahlem, Deutschlands einziger Bauernhof mit U-Bahn-Anschluss – nutzen ihr Grünland vor allem für die Futtergewinnung und ihr Ackerland für den Anbau von Getreide; nur punktuell wird Gemüse angebaut, weil die Bodenqualität dafür meist zu schlecht ist. Neben der kommerziellen Landwirtschaft gibt es in Berlin über 200 Gemein- schaftsgärten, die zur Eigenversorgung bewirt- schaftet werden. Das bekannteste Urban-Gar- dening-Projekt sind die Prinzessinnengärten in Kreuzberg und Neukölln. Ebenfalls für den Eigen- bedarf wird in den hiesigen Kleingärten geerntet. Knapp 71.000 Parzellen in über 870 Anlagen neh- men eine Fläche von rund 2.900 Hektar ein – drei Prozent der gesamten Stadtfläche.“. Barsche und Basilikum Mit nur 1.800 Quadratmetern kommt die ECF- Farmauf demGelände der Schöneberger Malzfab- rik aus, um jährlich 400.000 Einheiten Basilikum fast ausschließlich an die Supermarktkette Rewe zu liefern und zwischen sieben und zwölf Tonnen Barsche zu züchten, deren Fleisch teils ebenfalls an Rewe, teils an andere Händler geht. Sowohl „Hauptstadtbasilikum“ als auch „Hauptstadt- barsch“ kann die Kundschaft zudem online vor- bestellen und an der Farmabholen. „Wir haben die Anlage 2014 aufgebaut und 2015 in Betrieb genom- men“, sagt Geschäftsführer Nicolas Leschke. Im gläsernen Gewächshaus wird auf einer Fläche von 1.000 Quadratmetern computergesteuert das Basilikum angebaut. Am Rand der Halle befin- den sich hohe Regale, in denen die zweiwöchige Anzucht der Pflanzen stattfindet, bevor sie für weitere zwei Wochen auf die Pflanztische kom- men. Von der Bewässerung über die Temperatur bis zur Beleuchtung wird alles digital überwacht. Hinter demGewächshaus stehen auf einer Flä- che von etwa 400 Quadratmetern 13 mannshohe schwarze Becken, in denen die reiskorngroßen Baby-Barsche acht Monate lang aufwachsen, bis sie mit einem halben Kilogramm Gewicht schlacht- reif sind. Auch hier wird alles digital kontrolliert: wie viele Fische in den Becken schwimmen, wie viel gefüttert wird, die Strömung, die Tempera- tur und der Sauerstoffgehalt des Wassers. Auch ECF hat wie die StadtFarmdas klassische Aquapo- nik-Verfahren weiterentwickelt. „Unser System ist eine Adaption, weil wir das Wasser smart von der Aquakultur der Fischzucht ins Gewächs- haus leiten, wo es von dort aber nicht direkt wie- der sofort zurückfließt“, erklärt Geschäftsführer Leschke. Bevor das Wasser wieder zu den Bar- schen zurückgeleitet wird, zirkuliert es in der Halle, wird auf den optimierten pH-Wert einge- stellt, wenn nötig mineralisiert und mit gefilter- temRegenwasser vomDach und Kondenswasser aus dem Gewächshaus angereichert. „Mit diesen zwei gekoppelten Kreisläufenwachsen die Pflan- zen so, wie wir es haben wollen, und die Fische fühlen sich pudelwohl.“ Weil er die Leidenschaft für frische, nach- haltig erzeugte Lebensmittel mit seinem heuti- gen Geschäftspartner Christian Echternacht teilt, experimentierten die beiden zunächst mit einem aquaponischen Prototyp – dafür bauten sie auf dem Dach eines Schiffscontainers mit Fischbe- cken ein Gewächshaus. „Bis heute haben wir uns viel Know-how erarbeitet, zumBeispiel vertikale Anbausysteme so auszugestalten, damit sie auf kleinstemRaumden größten Ertrag bringen“, sagt Nicolas Leschke. Ihr Know-how zahlt sich inzwi- schen aus. Die ECF Farmsystems GmbH hat 2016 für einen Schweizer Gemüsegroßhändler eine 1.100 Quadratmeter große Aquaponik-Dachfarm errichten lassen, zwei Jahre später eine mehr als doppelt so große in Brüssel. „Wir sind gerade im Bau einer weiteren Anlage in Deutschland, die ebenfalls gebäudeintegriert ist – das wird ein absolutes Prestigeprojekt.“ Fertiggestellt werde sie voraussichtlich im Mai nächsten Jahres, „und diese Farm werden wir auch selbst betreiben“. Landwirtschaft auf Dächern Ausschließlich auf gebäudeintegrierte Land- wirtschaft setzt Dachfarm Berlin. Die Kreuzbe- rger Firma berät Auftraggeber, plant und baut Gebäudefarmen für den Anbau von Nutzpflan- zen, klärt Fragen zu Statik, Sicherheit, Brand- schutz und Genehmigung. Dazu gehört auch die Ermittlung von Synergieeffekten zwischen Wohngebäude und Gebäudefarm, zum Beispiel die Verwendung von Regenwasser, die Aufberei- 8 Mio. Quadratmeter Dachfläche hat der Forschungsverbund ZFarm in Berlin als Potenzial für die kom- merzielle landwirt- schaftliche Nutzung ermittelt. Wendy Brandt, IHK-Expertin für Umwelt & Nachhaltigkeit Tel.: 030 / 315 10-410 wendy.brandt@berlin. ihk.de FOTO: CHRISTIAN KIELMANN Sara Wolff Wir unter- suchen verstärkt, wie Bestands- gebäude für die Produktion von Nahrungs- mitteln genutzt werden können. SCHWERPUNKT | Lebensmittel aus der Stadt 22 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 01 | 2021

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