Berliner Wirtschaft 10/2020

F rühstücksfernsehen bei der IHK Berlin: „Skurril und ungewohnt ist das Format ja schon“, bemerkte Jan Eder zu Beginn des ersten digitalen Politikgesprächs, zu dem der Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin Ramona Pop am 24. September im Ludwig Erhard Haus begrüßte. Doch die Wirtschaftssenatorin und Eder managten die Premiere mit Bravour, und auch die Fragen der zugeschalteten Gäste zeigten: Die Krise macht’s möglich. Besser so als gar nicht. Pop unterstrich, dass Berlin bislang gut durch die Pandemie gekommen sei: „Es deutet sich an, dass Berlin beimBIP im ersten Halbjahr 2020 um fünf Prozent geschrumpft ist und damit besser als der Bund mit minus sechs Prozent abgeschnitten hat.“ Es zahle sich aus, dass die Stadt vonWachs- tumstreibern wie Digital- und Technologiebran- che profitiere. Die zügige Unterstützung insbeson- dere der dominierenden kleinen Unternehmen habe gegriffen. „Die Berliner Soforthilfen haben 360.000 Arbeitsplätze gesichert.“ Die Krise habe aber auch wie ein Katalysa- tor gewirkt. Bei Branchen, die sich schon vorher im Strukturwandel befunden hätten wie der Einzelhandel, wären die Schwächen noch ein- mal deutlicher geworden. Besonders froh ist Pop, dass es gelungen ist, einen großen Teil der von Schließung bedrohten Warenhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof in Berlin vorerst zu retten. Mit Blick auf die kommenden Wochen und Monate unterstrich die Grünen-Politikerin: „Die Infekti- onszahlen, die aktuell nach oben gehen, dürfen nicht außer Kontrolle geraten. Wir müssen jetzt mit gezielten Maßnahmen die Infektionsherde lokalisieren und bekämpfen.“ Wunder Punkt Verwaltungsprozesse Die anschließende Diskussionsrunde stellte Eder unter die Headline: „VomGipfel zumAbsturz zum Gipfelsturm“ und eröffnete sie traditionsgemäß mit einer privaten Frage. Wie Pop die Krise per- sönlich erlebt habe? „Da ich mich überwiegend von selbst geschmierten Stullen ernährt habe, habe ich abgenommen“, nannte die Politikerin als zumindest einen erfreulichen Punkt. Dass noch viele Aufgaben in der Wirtschaft zu lösen sind, darin waren sich Eder und Pop einig. Als besonders wunden Punkt nannte Eder die Berliner Verwaltungsprozesse. „Diese haben der Berliner Wirtschaft die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Ein Teil der ja systemrelevanten Leis- tungsverwaltung ist während des Lockdowns schlicht nicht mehr da gewesen.“ Als krasses Bei- spiel zitierte der Hauptgeschäftsführer sinngemäß eine Antwort der Verwaltung auf eine Mail: „Wir haben Ihre Mail erhalten. Aber vergessen Sie, dass wir sie erhalten haben. Sie müssen diese nach der Pandemie noch einmal an uns richten.“ Das lasse tief blicken bei Führungskultur und Geis- teshaltung. Ein Problem, das Pop nicht schönre- dete. Veränderungen müsse es nicht nur an der Spitze geben, sondern auf allen Führungsebenen. Neben einer schnelleren Digitalisierung müssten Eigenverantwortung gestärkt und eine Fehlerkul- tur etabliert werden. „Wir sprechen besser zehn Genehmigungen aus, von denen vielleicht zwei nicht Bestand haben, als gar nichts zu tun.“ Die manchmal stockenden Genehmigungsprozesse in der Verwaltung müsse man in Absprache mit den Bezirken einheitlicher und einfacher gestalten. Überbrückungshilfen zügig auszahlen Die Finanzhilfen hätten zudem noch nicht alle Teile der Wirtschaft erreicht. Die zuletzt nach- justierten Überbrückungshilfenmüssten deshalb schnell ausgezahlt werden, so die Senatorin. Für die besonders von Corona-Restriktionen betrof- fenen Branchen Gastronomie, Tourismus, Events, Messen sollen zudemLösungen gefundenwerden. Diskutiert würden u. a. Liquiditätsprogramme für die Hotelbranche. Pop bekräftigte, dass man in der Krise außergewöhnliche Wege gehen müsse, die ja nicht dauerhaft geltenmüssten. Das gilt aus ihrer Sicht auch für die aktuell kontrovers disku- tierte Beheizung der Außenflächen der Gastro- nomie, etwa durch Heizpilze. Als weiteres drän- gendes Problem adressierten Eder und Pop die Gewerbemieten. Das Parlament hat jetzt eine mit rund 100Mio. Euro dotierte „Soforthilfe Gewerbe- mieten“ freigegeben, die in der Corona-Krise vom Umsatzrückgang besonders betroffene Unterneh- men bei der IBB abrufen können. Abschließend thematisierte Eder eine der größten Herausforderungen in der Pandemie: die richtige Balance zu halten zwischen Hilfe, die Geld kostet, und Haushaltsdisziplin. „Müs- senmeine Töchter später alles bezahlen?“ Es geht um hohe Summen. Berlin hat sechs Mrd. Euro an Krediten aufgenommen, umdie Hilfsprogramme zu finanzieren. Auf einen Schlag fehlen der Stadt zwei Mrd. Euro jährlich an Steuereinnahmen. „Wir diskutieren, ob wir weiteres Geld für eine Pandemie-Rücklage aufnehmen“, sagte Pop. Mit Blick auf das Wahljahr dürften aber nicht kre- ditfinanzierte Wahlgeschenke gemacht werden. „Dieser Versuchung müssen alle widerstehen.“ ■ FOTO: AMIN AKHTAR Ramona Pop Wirtschaftssenatorin Berlin kommt wohl besser durch die Krise als der Bund. Jan Eder IHK-Hauptgeschäftsführer Die Berliner Verwaltungs- prozesse in der Krise haben der Wirtschaft die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Arbeitsplätze wurden laut Ramona Pop durch Berliner Soforthilfen in der Stadt gesichert. 360000 11 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 10 | 2020 AGENDA | Digitales Politikgespräch

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