Berliner Wirtschaft Juni 2024

Wer zurzeit eine Apotheke besucht, wird möglicherweise von der Infokampagne „Gesundheit sichern. Die Apotheke“ überrascht. Die Aktion der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) informiert über die bedrohliche Lage. Seit Jahren warnen Apothekerinnen und Apotheker und Verbände vor der Krise der niedergelassenen Arzneimittelversorgung. Im vergangenen Jahr machten sie durch mehrere Protestaktionen auf das Sterben der Apotheken aufmerksam. Allein in Berlin schlossen 2023 nach Berichten des Rundfunks Berlin-Brandenburg 50 Apotheken. Bundesweit sei es alle 17 Stunden eine. Das Problem sei „multifaktoriell“, analysiert Laszlo Schlindwein, ein Apotheker aus Berlin-Mitte, die kritische Lage. „Die wichtigsten Punkte erschließen sich eigentlich aus den Dingen, denen auch die Menschen im Alltag begegnen.“ Gemeint sind steigende Energiekosten und inflationsbedingte Verteuerung, Fachkräftemangel und Bürokratie. Ein Kernproblem für die Wirtschaftlichkeit vieler Apotheken sei das stagnierende Beratungshonorar. Dieses entfällt auf verschreibungspflichtige Medikamente und wurde seit über zehn Jahren nicht mehr angehoben. Schlindwein: „Die verbreitete Vorstellung des gut verdienenden Apothekers ist leider überholt. In den letzten Jahren haben sich stattdessen durch die fehlende Vergütungsanpassung reale wirtschaftliche Sorgen ergeben.“ Im Apothekenklima-Index 2023 der ABDA gaben zwei Drittel der befragten Apotheken an, sie erwarten eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage. Mitarbeitende wandern ab Auch der Wilmersdorfer Apotheker Daniel Kaulmann ist besorgt. „Aufgrund fehlender Ho- noraranpassungen kann das vorhandene Personal nicht besser bezahlt werden und wandert in andere Bereiche ab“, berichtet er. Viele Apotheken bezahlen ihre Mitarbeitenden inzwischen übertariflich, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Sie stoßen damit aber oft an ihre Grenzen. Der Fachkräftemangel betrifft nach Apothekenklima-Index die Mehrheit aller Geschäfte. Künftig wird der demografische Wandel die Versorgungssicherheit vor Ort weiter gefährden, fürchtet Laszlo Schlindwein. „Aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit müssen viele Apotheken schließen, und zugleich hören ältere Inhaberinnen und Inhaber auf. Junge Generationen sind von der wirtschaftlichen Lage eher abgeschreckt und möchten keine Apotheke mehr bei dem Risiko übernehmen“, sagt Schlindwein. Zudem litten Apotheken unter hohen bürokratischen Anforderungen, und die Digitalisierung im Gesundheitswesen sei eine große Baustelle. Dabei ist die Versorgung vor Ort durch Apotheken unerlässlich. Viele Menschen wenden sich als Ratsuchende an ihre Apotheke. Dort können Wechselwirkungen im Medikationsplan erkannt und fehlerhaften Medikamenteneinnahmen vorgebeugt werden. Entstehen Lieferengpässe bei Medikamenten, sind Apotheken gefragt, nach Alternativen zu suchen. Während der Pandemie haben die Apotheken zudem wichtige Schlüssel- aufgaben, wie das Impfen oder das Ausstellen von entsprechenden Zertifikaten, übernommen. Schlindwein und Kaulmann wünschen sich beide mehr Kompetenzen für Apotheken. Neue Modelle sollten ihrer Ansicht nach die Arbeit in der Apotheke wieder attraktiver machen. Flexiblere Arbeitszeiten, ein Abbau der administrativen Herausforderungen und ein zielgerichteter Einsatz der Fachkenntnisse des Personals sind Schlüsselpunkte. Um die Versorgung vor Ort auch künftig gewährleisten zu können, sollten die Prozesse und Strukturen neu gedacht werden, meint Daniel Kaulmann. „Die Apotheken haben zu wenig Handlungsspielraum, um Patientinnen und Patienten in akuten Situationen unbürokratisch helfen zu können, ohne vorherige Rücksprache mit dem Arzt.“ In der Idealvorstellung von Laszlo Schlindwein ist die Apotheke ein Ort, der Patientinnen und Patienten nicht nur hilft, wenn sie krank sind. Vielmehr hofft er, auch bessere Angebote für ein gesundes Leben machen zu können und präventiv zu wirken. „Was mich antreibt, ist die Vision der Apotheke als Gesundheitszentrum der Zukunft, wo es mehr um Gesundheit als um Krankheit geht.“ ■ Laszlo Schlindwein Apotheker Die Vorstellung des gut verdienenden Apothekers ist leider überholt. Lars Mölbitz, IHK-Experte für Gesundheitswirtschaft Tel.: 030 / 315 10-439 lars.moelbitz@ berlin.ihk.de FOTOS: STEFAN BEETZ, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG Apotheken | 41 Berliner Wirtschaft 06 | 2024

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