Berliner Wirtschaft Juni 2024

vor Ort haben müssen und mittlerweile auch haben. Da spielt sich gerade wahnsinnig viel ab. Und Berlin? Malte Pietsch: Ich sehe Berlin gerade auf dem Scheideweg. Es gibt nach wie vor hier ein großes Ökosystem, viele Firmen, die sich mit KI beschäftigen, und den AI Campus in Gesundbrunnen. Es passiert schon einiges, aber nicht in der gleichen Geschwindigkeit wie in San Francisco oder Paris. Milos Rusic: Ja, definitiv, Berlin ist ein guter Standort für KI. Aber er könnte sich auch noch besser entwickeln. Man merkt, dass das Ökosystem noch sehr stark aus den Zehnerjahren und von den E-Commerce-Start-up-Gründern geprägt ist. Diese Gründer sind heute als Investoren engagiert und haben großen Einfluss auf die Risikokapital-Szene. Das hat auch sehr gut funktioniert. Aber KI ist etwas komplett Neues. Die Geschäftsmodelle haben eine ganz andere Dynamik, und der Markt ist viel globaler. Was passiert in Paris oder San Francisco, was in Berlin nicht passiert? Oder was muss Berlin machen, um bei KI ähnlich erfolgreich zu werden wie im E-Commerce und in der Fintech-Szene? Milos Rusic: Ich sehe kein Berliner Problem. Ich glaube, dass sich jede neue Technologieszene mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb Deutschlands in Berlin clustern wird. Berlin ist in Deutschland die einzige echte internationale Weltstadt, in die Leute aus aller Welt kommen. Berlin wird immer den Vorteil haben, dass das Talent hierherkommt. Es gibt eher ein deutsches Problem. Welches ist das? Milos Rusic: Auch für den KI-Bereich gilt: Startups leben davon, dass ihre Technologien genutzt werden, nur dann können sie sich weiterentwickeln. In den USA ist der Wille, neue Technologien auszuprobieren und anzuwenden, ausgeprägter. So entstehen dort neue, führende Industrien. In Deutschland sind Organisationen generell zurückhaltender und weniger risikofreudig beim Einsatz neuer Technologien. Wenn wir wirklich einen Vorsprung sicherstellen wollen, brauchen wir mehr Nachfrage – gerade auch aus dem öffentlichen Sektor. Malte Pietsch: Wir sind in Deutschland wieder einmal sehr stark in der Forschung. Aber wir setzen die Ergebnisse eben nicht ein. Es gibt wirkliche viele Forschungsprogramme, in die viel Geld fließt. Wir haben uns eine Menge davon angesehen. Aber diese eigentlich so wichtige Schnittstelle zwischen Forschung und Industrie ist so bürokratisch, dass wir sagen: Es lohnt sich nicht. Warum nicht? Malte Pietsch: Wir müssten zu viel Zeit in den ganzen Papierkram investieren. Die Zeit können wir besser nutzen, indem wir unsere Technologie weiterentwickeln. In Ländern wie den USA oder gerade auch Frankreich wird sehr viel unkomplizierter gefördert, wie wir es mitbekommen haben. Wird die Bedeutung von KI in Deutschland falsch eingeschätzt? Milos Rusic: Nein, dass KI relevant ist, zweifelt niemand mehr an. Unser Eindruck ist auch, dass die Politik sowohl in Deutschland als auch in Europa versteht, dass wir zusammenarbeiten müssen, um eigene Champions hochzubringen. Aber man ist unsicher, mit welchen Instrumenten das gelingen kann. Meiner Ansicht nach kann die öffentliche Vergabe ein sehr effektives Werkzeug sein. So wird Nachfrage erzeugt. Die öffentliche Verwaltung würde mit jungen Firmen vertragliche Beziehungen eingehen, die auch wieder gekündigt werden können, wenn nichts dabei herumkommt. Malte Pietsch: Aber ich bin mir nicht sicher, inwiefern ein Verständnis dafür besteht, wie schnell sich diese Technologie jetzt entwickelt und wie schnell sich damit die Welt verändert. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass es auch für uns selbst oft erstaunlich ist, wie es gerade vorangeht. Wir machen Deepset seit sechs Jahren, aber was seit Anfang 2023 in Milos Rusic (l.) und Malte Pietsch wollen mit Deepset weiter wachsen: Aus derzeit 70 Mitarbeitern sollen bis Jahresende 100 werden Was seit Anfang 2023 in der KI passiert, ist Wahnsinn, und es geht in diesem Tempo weiter. Malte Pietsch FOTO: AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 06 | 2024

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