Berliner Wirtschaft 4/2020

der Regel binnen zwei Stunden „abzuarbeiten“. Er war jedoch weder verpflichtet, bestimmte Auf- träge abzuarbeiten, noch war er berechtigt, ein bestimmtes Volumen an Aufträgen angeboten zu bekommen. NachUnstimmigkeiten zwischen den Parteien kündigte die Internetplattformper E-Mail die Basisvereinbarung. Das Gericht sah diese Tätigkeit nicht als Arbeitsverhältnis an und wies die Klage ab. Die Basisvereinbarung habe keinerlei Verpflichtung zur Erbringung von Leis- tungen vorgesehen. Auch die Gesamtumstände ließen nicht auf eine betriebliche Eingliederung schließen, wie sie für ein Arbeitsverhältnis not- wendig sei. Bereits aus diesemGrund handele es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis. Damit war dieKündigung per E-Mail wirksamund bedurfte auch keines Grundes. Ob die Sache damit endgültig abgeschlos- sen ist, ist allerdings nicht gesagt. Zumeinen hat der Gesetzgeber bereits erkannt, dass die neuen Beschäftigungsformen womöglich besonderen Schutzes bedürfen. Zumanderen kann gegen die Entscheidung des LAG München Revision beim Bundesarbeitsgericht eingelegtwerden. Selbst das LAG hat sich noch ein Hintertürchen für künf- tige Fälle offengelassen: Das Gericht hat in sei- nemUrteil betont, dass sich die Entscheidung nur auf die Vereinbarung zwischen Plattform und Crowdworker bezieht. Ob ein einzelner Auftrag ein befristetes Arbeitsverhältnis darstellen kann, mussten die Richter nicht entscheiden. DieWirk- samkeit eines derartigen befristetenArbeitsver- hältnissesmuss binnen dreiWochen durch Erhe- bung einer Entfristungsklage gegen den letzten Einzelauftrag geschehen – diese Frist hatte der Crowdworker hier aber bereits versäumt. Internetplattformen können nach der Ent- scheidung zwar zunächst aufatmen. Der Crowd- worker ist nach der derzeitigen Rechtsprechung kein Arbeitnehmer und genießt nicht die ent- sprechenden Schutzrechte. Gleichwohl bleiben der konkrete Einzelfall und die Ausgestaltung der Zusammenarbeit das entscheidende Krite- rium: Werden konkrete Arbeitsvolumina vor- gegeben, engmaschige Vorgaben zur Erledigung der Arbeit gemacht oder erfolgt eine „nach der GesamtschauallerUmstände“bestehendeEinbin- dung, ist einArbeitsverhältnis nicht ausgeschlos- sen. Dann kann sich der Crowdworker nicht nur aufseineArbeitnehmerschutzrechteberufen,son- dernmüsste der Auftraggeber für die Vergangen- heit auch Sozialabgaben nebst Strafzahlungen nachentrichten. ■ Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg. Er berät ins- besondere Unterneh- men in allen Bereichen des Arbeitsrechts. Melina Hanisch, Start-up-Koordinatorin Innovation der IHK Tel.: 030 / 315 10-527 melina.hanisch@berlin. ihk.de Link zur Website der Gründerszene Die ungekürzte Version des Textes unter: gruenderszene.de ten. ImGegenteil: Mit einemUrteil vomMai 2019 (Urt. v. 14.5.2019,Az.: C-55/18) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, ein objektives, verlässliches System zur Erfassung der Arbeitszeiten einzuführen, um Missbrauch durch denArbeitgeber zu verhindern. Die strengen Vorschriften des Arbeitsrechts schützen aber nur Arbeitnehmer. Geschäftsfüh- rer oder freieMitarbeiter dürfen arbeiten, so viel sie möchten. Auch genießen sie keinen Kündi- gungsschutz. Arbeitnehmer ist nach dem deut- schen Arbeitsrecht (§ 611a BGB), wer weisungs- gebunden und fremdbestimmt Dienste für einen anderen leistet. Charakteristisch ist hierfür ein Weisungsrecht,dassichaufInhalt,Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit bezieht. Ob eine Per- son Arbeitnehmer ist, ist nicht allein durch die vertragliche Lage bestimmt. Maßgeblich ist, ob bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände die Weisungsgebundenheit und Eingliederung über- wiegt. Bei einigen lautVertragalsFreelancernein- gesetztenundabgerechnetenBeschäftigtendürfte in rechtlicher Sicht daher eher einArbeitsverhält- nis als eine freie Mitarbeit vorliegen. ObCrowdworker als Arbeitnehmer einzustu- fen sind, war bislang gerichtlich nochweitgehend ungeklärt. Klassische TätigkeitenvonCrowdwor- kern sind etwa das Einsammeln von abgestell- ten E-Rollern, die Auslieferung bestellten Essens oder die Anfertigung von Fotos zur Dokumenta- tion vonWarenpräsentationen bei verschiedenen Einzelhändlern. Diese Personen sind regelmäßig als Selbstständige tätig und bearbeiten ihre Auf- träge mit Smartphone oder Laptop. Dies wollte ein gekündigter Crowdworker nicht auf sich beruhen lassen. Er klagte vor dem Arbeitsgericht gegen seine Kündigung und berief sich auf seine Eigenschaft als Arbeitnehmer. Mit seiner aktuellen Entscheidung hat das LAGMün- chen (Urt. v. 4.12.2019, Az.: 8 Sa 146/19) nunmehr als erstes Landesarbeitsgericht mit ausführlicher Begründung die Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern verneint. Geklagt hatte der für eine Internetplatt- form (Roamler) tätige Freelancer, der über eine App Aufträge erhielt und diese dann annehmen konnte. Mit der Internetplattform verband ihn eine Basisvereinbarung, die dem Crowdworker in einemselbst gewähltenRadius von 50Kilome- tern Aufträge anbot. Hierbei ging es oftmals um die Kontrolle vonWarenpräsentationen im Ein- zelhandel oder in Tankstellen.Wenn der Crowd- worker einenAuftrag annahm, hatte er diesen in FOTOS: GETTY IMAGES/SESAME, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG 61 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 04 | 2020 SERVICE | Gründerszene

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