Jahresbericht 2018

Berlin zögert, wo es handeln müsste Wir befinden uns inmitten eines tiefgreifenden ökonomischen Transfor­ mationsprozesses, der weit über das Schlagwort von der vierten industri­ ellen Revolution hinausreicht. Berlin kann aus diesen Umwälzungen als großer Gewinner hervorgehen. Es muss die dargebotenen Chancen aber beherzt nutzen, um als Standort von Unternehmen und Investoren (wieder) umschwärmt zu werden. In der Wirtschaft steht derzeit alles auf dem Prüfstand: Wertschöpfungs­ ketten, Technologien und Qualifi­ kationen. Kundenwünsche ändern sich angesichts neuer sozialer und moralischer Perspektiven radikal. Die Politik nimmt diese auf und setzt neue Normen. In vielen Branchen ahnt man sich daher am Vorabend einer Revolution. Uns steht bevor, was man als „shake out“ bezeichnet – der Marktaustritt jener Unternehmen, die sich den radikal neuen Gegeben­ heiten nicht ausreichend schnell angepasst haben. Viele, gerade große, traditionsreiche Betriebe werden an dem evolutionären Flaschenhals scheitern. Das Dinosauriersterben hat gerade erst begonnen! In evolutionären Krisen schlägt die Stunde kühner Aufsteiger. Ein solcher könnte Berlin werden. Bisher ist unsere Stadt im Ökosystem der deutschen Wirtschaft, das sich um die Dreiheit Automobil-Chemie-Ma­ schinenbau gruppiert, eher am Rande situiert. Doch die drei Großen, insbe­ sondere die Autofirmen, haben Mühe, sich den rasend schnell ändernden Umweltbedingungen anzupassen. Alte Branchen verlieren also an Gewicht, neue werden ihre Plätze besetzen. Berlin kann, dank seiner Stärken als Wissenschafts- und Innovati­ onsstandort, als global attraktiver Wohn- und Arbeitsort und als bereits erfolgreiches Zentrum der Digitalwirt­ schaft selbst zum wichtigen Akteur aufsteigen. Allerdings muss man in der Stadt auch willens sein, diesen Platz einzunehmen. Das zurücklie­ gende Jahr weckte diesbezüglich manche Hoffnung, aber häufiger noch Zweifel. Den Gewinn des Siemens- Campus darf die Stadt zweifellos auf der Habenseite verbuchen. Die vielge­ staltige Digitalökonomie erhöhte auch 2018 das wirtschaftliche Gewicht der Metropole. Doch zu oft signalisierte das politische Berlin im vergangenen Jahr, dass man an Innovation und Wachstum zwar den Worten, weniger aber den Taten nach interessiert ist. So dürften jene, die Wohnungen lieber in Staatsbesitz überführen wollen, statt neue zu bauen, an weiterem Wirtschafts- und damit Bevölkerungswachstum kein Interesse haben. Wer es zulässt, dass führende digitale Unternehmen keine Bleibe in Berlin finden oder zugunsten von Behörden aus dem Zentrum verdrängt werden, meint es mit dem Slogan der Digitalhauptstadt nicht sonderlich ernst. Wirtschaft in Zahlen ihk-berlin.de/zahlen 10 BERLINER WIRTSCHAFT – STANDORTBESTIMMUNG Jahresbericht 2018  d 01 EINLEITUNG

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