Berliner Wirtschaft September 2020

gemeinsamen Kalender koordinieren, ist leicht nachweisbar, dass sie weitergearbeitet haben. Wann ist bei Kurzarbeitergeld konkret von Betrug die Rede? Entscheidend ist, ob die Geschäftsführung in Kauf genommen hat, dass bei der Antragstellung falsche oder unvollständige Angaben gemacht wurden. Beispielsweise über die Ursache des Arbeitsausfalls: Bleiben Aufträge wirklich auf- grund der Corona-Krise aus, oder sind bereits vorher Kunden weggefallen? Sind die Arbeitsaus- fälle gar nicht vorübergehend, sondern steht die Schließung des Betriebs schon jetzt fest, liegt ein Betrugsfall vor. Das Gleiche gilt, wenn Start-ups bereits erteilten Urlaub wieder zurücknehmen oder Überstundenkonten verschweigen. Möglicherweise liegt dann auch ein Sub- ventionsbetrug vor. Gründer wären sogar straf- bar, wenn sie leichtfertig gehandelt haben und ihren Informations-, Erkundigungs-, Prüfungs- und Aufsichtspflichten nicht genügend nachge- kommen sind. Etwa, wenn ein Mitarbeiter den Arbeitszeitnachweis versehentlich falsch oder unvollständig ausgefüllt und der Chef das For- mular nicht ausreichend überprüft hat. Da viele Gründer derzeit unter enormemZeit- druck stehen, dürften sich bei den Unterlagen viele Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen haben. Sollten die Strafverfolgungsbehörden tatsächlich davon ausgehen, dass leichtfertiges Handeln für Strafbarkeit genügt, wäre das eine Katastrophe für viele Start-ups. Können Mitarbeiter ihre Arbeitgeber melden, wenn sie gezwungenwerden, mehr zu arbeiten? Erfahrungsgemäß wenden sich Arbeitnehmer in erster Linie an einen Anwalt für Arbeitsrecht. Der kann den Arbeitgeber auffordern, den Missbrauch einzustellen. Sollte der Chef das verweigern, ist die nächste Eskalationsstufe das Strafrecht. Jeder in Deutschland kann eine Strafanzeige erstatten – gegebenenfalls auch anonym. Ein derartiges Anschwärzen will aber gut überlegt sein, da Arbeitnehmer dadurch ihren Arbeitsplatz riskieren. Sicherer ist es, die Agentur für Arbeit lediglich über den Sachverhalt zu infor- mieren, ohne selbst einen Vorwurf zu erheben. Machen sich Mitarbeiter auch strafbar, wenn sie gezwungenermaßen mehr arbeiten? Im Regelfall besteht nur für den Arbeitgeber ein Strafbarkeitsrisiko. Es gibt theoretisch Ausnah- men, bei denen den Mitarbeitern strafrechtliche Beihilfe vorgeworfen werden könnte. Das passiert in der Praxis aber kaum. Wie viel „zu viel“ dürfen Angestellte arbeiten? Es gibt kein „zu viel“. Das Unternehmen meldet zumEnde des Monats, wie viele Stunden tatsäch- lich weggefallen sind. Entscheidend ist also, dass die Meldung mit der Realität übereinstimmt und nicht irgendeinem zuvor angenommenen Durch- schnitt entspricht – oder eben ausgedacht ist. Wenn die Mitarbeiter mehr Stunden leisten, als beim Arbeitsamt angegeben, mit welchen Strafen müssen Arbeitgeber rechnen? Die Täter müssen mit Geldstrafen oder Frei- heitsstrafen rechnen, im schlimmsten Fall bis zu zehn Jahren. Darüber hinaus drohen der Ver- lust der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit und die Gefahr einer Auftragssperre bei öffentlichen Ausschreibungen. Können Geschäftsführer ihren Posten verlieren? Ja, das ist denkbar, etwa, weil die Gesellschaf- ter das Management abberufen. Nach einer Vor- schrift im GmbH- beziehungsweise Aktienge- setz ist es verurteilten Geschäftsführern oder Vorständen in gewissen Konstellationen zudem ausdrücklich verboten, weiter Geschäftsführer zu sein. Kann das Unternehmen geschlossen werden? Theoretisch nein, praktisch ja. Häufig enden sol- che Strafverfahren für Firmen in der Insolvenz. Rückzahlungen und Anwaltskosten sind finan- ziell vielleicht gerade noch zu stemmen, aber die negative Presse und der Aufwand der Aufklärung belasten das operative Geschäft schwer. Durch- suchungen und polizeiliche Befragungen moti- vieren weder Mitarbeiter noch Geschäftspart- ner. Unternehmen sind gut beraten, ein drohen- des Strafverfahren möglichst früh zu bereinigen. Gibt es bereits aktuelle Fälle von Subventionsbetrug? Einige Medien haben über Ermittlungsverfah- ren während der Corona-Krise berichtet. Aktu- ell sind dies jedoch meistens Betrugstaten im Zusammenhang mit der Beantragung staatlicher Corona-Soforthilfen. Wahrscheinlich werden ab dem dritten beziehungsweise vierten Quartal dieses Jahres immens viele Ermittlungsverfah- ren wegen Kurzarbeitergeld eingeleitet. ■ Die Autoren Pascal Croset ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Inhaber der Kanzlei Croset – Fachanwälte für Arbeitsrecht. Dr. Philipp Horrer ist Fachanwalt für Strafrecht und Partner der Kanzlei H2W. Melina Hanisch, Start-up-Koordinatorin der IHK Tel.: 030 / 315 10-527 melina.hanisch@berlin. ihk.de Link zur Website der Gründerszene Die Original-Version des Textes unter: gruenderszene.de FOTOS: GETTY IMAGES/THOMAS BARWICK, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG 63 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 09 | 2020 SERVICE | Gründerszene

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