Berliner Wirtschaft September 2020
FOTO: CHRISTIAN KIELMANN » men sind, die sich eigentlich für einen anderen kaufmännischen Ausbildungsberuf entschieden oder ihren Ausbildungsplatz aufgrund der Krise verloren haben.“ Solch ein Engagement hilft der Berliner Wirt- schaft. Denn die derzeitige Situation stellt alle Beteiligten auf dem Ausbildungsmarkt vor große Herausforderungen. Dies zeigen die Ergebnisse einer Umfrage der IHK Berlin unter Mitgliedsun- ternehmen zu den Auswirkungen von Corona auf die Ausbildung. „Zwar bilden die meisten Aus- bildungsbetriebe auch in der Krise weiter aus“, erklärt Stefan Mathews, Bereichsleiter der IHK Berlin im Geschäftsfeld Bildung & Beruf. „Aller- dings können nicht alle Unternehmen so viele Ausbildungsplätze anbieten, wie noch Anfang des Jahres geplant.“ Gerade in den Branchen, die besonders hart von der Corona-Pandemie betroffen sind, ist die Nachfrage nach Auszubildenden geringer. Dazu gehören die Hotellerie und Gastronomie, aber auch Reiseunternehmen und die Messebauer werden in diesem Jahr weniger ausbilden. „Klar muss aber auch sein: Viele Betriebe suchen händerin- gend nach Auszubildenden“, so Bildungsexperte Mathews. „Deswegen ist es zum Start des Aus- bildungsjahres besonders wichtig, flexible Ein- stiegsmöglichkeiten in das neue Berufsschuljahr zu finden, pragmatische Lösungen zur Belebung des Ausbildungsmarktes imAngebot zu haben und bei der Nachvermittlung von Ausbildungsplätzen bis weit in den Herbst hinein nicht nachzulassen.“ Dies gilt umsomehr, da es in der jetzigen Situation ungeheuer schwierig ist, Jugendliche mit bislang fehlender Ausbildungsperspektive zu aktivieren. Bereits den ganzen Sommer unterstützt die IHK Berlin sehr intensiv Ausbildungsbetriebe und junge Menschen auf der Suche nach einem Aus- bildungsplatz beimMatching. Dafür hat die Kam- mer die Kampagne # ZukunftAusbildung ins Leben gerufen. Hinter diesem Schlagwort stehen unter- schiedliche Angebote, bei denen der persönliche Kontakt erst einmal nicht im Vordergrund steht, aber Jugendlichen dennoch die Chance eröff- net wird, direkt mit Unternehmen ins Gespräch zu kommen. Zu den Formaten gehört eine erstmals im August gemeinsam mit der Handwerkskammer Berlin und dem Start-up „talentefinder“ ausge- richtete virtuelle Ausbildungsmesse. Die Idee dahinter: In einer im Stil einer Dating-App auf- gebauten Applikation sorgt zu Beginn ein gegen- seitiges Matching für ein effizientes Kennenlernen von Azubis und Arbeitgebern. „Der aktuell größte Vorteil virtueller Recruitingevents gegenüber phy- sischen Events ist, dass sie überhaupt durchführ- bar sind“, erzählt Florian Chitic, Mitgründer von talentefinder. „Hier besteht also ein Weg, auch trotz Corona miteinander in Kontakt zu treten, sich kennenzulernen und letztlich den Wunsch- arbeitgeber bzw. die neuen Azubis zu finden.“ Unabhängig von Corona bieten die digita- len Recruitingevents aber auch weitere Vor- teile. Für angehende Azubis sind dies zum Bei- spiel, sich in einem gewohnten Umfeld, nämlich in der digitalen Welt, zu bewegen. So fällt der Erstkontakt zum potenziellen Arbeitgeber häu- fig leichter, da das Internet durch die Anonymität einen gewissen Schutz bietet. „Ein weiterer Plus- punkt, der für beide Seiten gilt, ist die Möglich- keit, unabhängig von geografischer Entfernung an Recruitingevents teilzunehmen“, fügt Florian Chitic hinzu. „So können Berliner Unternehmen auch Azubis in München oder Hamburg anspre- chen und andersherum, ohne Reisezeit und -kos- ten auf sich nehmen zumüssen.“ Diese virtuellen Matching-Formate werden auch bei zukünftigen Ausbildungsmessen der IHK Berlin – zum Bei- spiel bei der jährlichen Nachvermittlungsaktion im Herbst - ein fester Bestandteil sein. Azubis im gewohnten digitalen Umfeld Auch das Feinkostunternehmen Lindner möchte gerne im Jahr des 70. Jubiläums alle angebote- nen Ausbildungsplätze besetzen. „Covid-19 hat an unserem Engagement nichts geändert: Die Aus- bildung genießt bei uns imFamilienunternehmen einen hohen Stellenwert und Priorität“, erklärt Julian-Alexander Schieke. Nach Überzeugung des Ausbildungsleiters von Lindner beschleunige die Pandemie zwar den Wandel im Azubi-Recrui- ting, und das Unternehmen versuche, vermehrt über digitale Angebote junge Menschenmit Inte- resse an einer Ausbildung anzusprechen. „Ent- scheidend imMarketing-Mix bleiben aus unserer Sicht dennoch die persönliche Ansprache und der Kontakt mit potenziellen Azubis, Eltern und Lehr- kräften, etwa durch langfristige Schulkooperatio- nen, Betriebspraktika oder Tage der offenen Tür.“ Schließlich betont er die wichtige Rolle der eige- nen Auszubildenden bei der Akquise von Azubis. „Egal ob online oder offline: Bei allen Aktivitäten, die wir durchführen, werden wir unsere Azubis einbinden, denn sie können am authentischsten über die Ausbildung berichten und Fragen rund um das Thema beantworten.“ Gabriele Scharni Leiterin Schulungsabteilung Debeka Berlin Das Versicherungs- unternehmen spricht über digitale Formate Bewerber für Ausbildungs- plätze an, die eigentlich andere kaufmännische Berufe angepeilt haben. Gabriele Scharni Neben kreativen Lösungen bei der Akquise von Auszubildenden ist jetzt auf allen Seiten auch ein gewisses Maß an Flexibilität gefragt. SCHWERPUNKT | Ausbildung digital 20 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 09 | 2020
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