Berliner Wirtschaft Mai 2020

Jahr 2013 sitzt. Redaktions- und Konferenzräume sind verwaist. „Binnen drei Tagen arbeiteten fast alle Mitarbeiter von zu Hause aus. Die ,Berliner Morgenpost‘ erscheint trotzdem. Auch die Zustel- lung läuft reibungslos“, sagt der 54-Jährige, des- sen Zeitung sich aktuell mit einer mehrmals täglich aktualisierten Infografik über die welt- weiten Corona-Fälle hervortut. Mit 1,95 Millio- nen Nutzern in den ersten zehn Märztagen (plus 680 Prozent) katapultierte sich morgenpost.de damit in die Top 20 der reichweitenstärksten Online-Nachrichtenmarken. Seinen bodenständigen Anspruch hat der ehe- malige Axel-Springer-Titel auch nach demEigen- tümerwechsel beibehalten. „Wir konzentrieren uns auf die zwölf Berliner Bezirke und die Region. Das ist unser Feld“, beschreibt Timmer den Kern der Strategie. Veranstaltungen wie „Morgenpost vor Ort“, bei der sich Entscheider aus Politik und Wirtschaft mit Lesern und Nicht-Lesern treffen, oder „Morgenpost Menü“ sollen die Traditions- marke authentisch erlebbar machen. Doch auch sie verliert bei Print immer stärker an Zugkraft. Zwischen Ende 2000 und Ende 2019 schrumpfte die verkaufte Auflage um 60 Prozent auf gut 72.000 Exemplare. Während der „Tagesspiegel“, der in derselben Zeit 22 Prozent bei der Auflage einbüßte, schon mehr als jede dritte Zeitung als E-Paper verkauft, sind es bei der „Berliner Mor- genpost“ gerade mal zwölf Prozent. „Wer heute Print liebt, tut sich sehr schwer, zum E-Paper zu wechseln“, sagt Timmer. „Aber wir haben dieses Produkt mit seinem spezifischen, hohen Nutzwert unverändert im Fokus.“ Übers Fremium-Modell zur Paywall Wie die Konkurrenz macht der Verlag mit News- lettern, Podcasts und einemOnline-Nachrichten- portal seinen Lesern ein üppiges digitales Ange- bot. Und die Nutzer zahlen dafür keinen Cent. Noch. Der Hintergedanke: Über das freie Ange- bot tasten sich die Verlage langsam zum soge- nannten Fremium-Angebot vor, sprich über alle Kanäle laufende Nachrichten bleiben kostenlos, bei Kolumnen oder exklusiven Berichten aus den Bezirken senkt sich aber die Bezahlschranke. „Die Technologie ist da und funktioniert schon bei anderen Blättern von Funke gut“, sagt Timmer. Noch in diesem Jahr komme die Paywall. Tim- mer ist fest davon überzeugt, „die hochwertigen und uniquen Inhalte in naher Zukunft auch digi- tal monetarisieren und so unser Geschäftsmodell erfolgreich transformieren zu können“. Andreas Bull, Geschäftsführender Vorstand bei der taz, die tageszeitung Verlagsgenossen- schaft eG, hält mit wenigen Kollegen im Ver- lagshaus an der Friedrichstraße die Stellung. Das Interview muss wegen COVID-19 im Freien stattfinden. Während die Hauptstadt-Konkurrenz noch mit dem Abschied von Print hadert, treibt die links-alternative Tageszeitung die Digitalisie- rung voran. „Vor zehn Jahren habenwir vorherge- sagt, dass es 2020 keine Printausgabe mehr gibt“, erinnert sich Bull. Noch laufen zwar die Pressen in den bundesweit drei Druckereien. In zwei Jah- ren werde unter der Woche aber wahrscheinlich nur noch ein E-Paper verschickt und lediglich amWochenende auch eine Printausgabe. Bei der Transformation von Print zu Digital setzt die „taz“ ähnlich wie der britische „Guardian“ auf ein frei- williges Bezahlmodell mit dem Namen „taz zahl ich“. Gut 20.000 Nutzer zahlen regelmäßig min- destens fünf Euro für das digitale Angebot. Um die Digitalisierung voranzutreiben, holte der als Genossenschaft geführte Verlag die IT-Ma- Ulrike Teschke Geschäftsführerin Verlag der Tages- spiegel GmbH 2017 trat Ulrike Teschke ihren Posten in Berlin an, zuvor war sie 19 Jahre lang Kaufmännische Leiterin bei der Wochenzeitung „Die Zeit“ in Hamburg. 500 Mitarbeiter zählt der Verlag, davon 180 Redakteure. FOTOS: ANDREAS LABES, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG 22 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 05 | 2020

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