Berliner Wirtschaft Mai 2020

knapp die Hälfte der Anteile hält. Zuvor hatte sich Axel Springer mit 36 Prozent am neuen Berliner Medienunternehmen Media Pioneer von Gabor Steingart beteiligt, dem umtriebigen Ex-Chefre- dakteur und Ex-Geschäftsführer des „Handels- blatt“, bei dem dieser im Streit über den richtigen Kurs Anfang 2018 ausgeschieden war. Steingarts Mission: ein Medienunternehmen neuen Typs, zu dem unter anderem das erste Redaktionsschiff Deutschlands gehört, die „Pioneer One“, die künf- tig über die Spree schippern soll. In den nächsten drei Jahren wolle Axel Sprin- ger, so Döpfner bei der Pressekonferenz, 100 Mio. Euro in digitale Wachstumsprojekte bei „Bild“ und „Welt“ pumpen, vor allem in Live-Bericht- erstattung, Paid Content und Sport. „Bild“ bean- tragte jüngst eine Rundfunklizenz. Die digita- len Rubrikangebote von Stepstone und der Aviv Group (Immobilien), die den neuen Investor KKR ammeisten interessieren dürften, verstärkten sich zuletzt durch Zukäufe. Schon 2019 trugen die digi- talen Medien gut 73 Prozent zum Konzernum- satz von 3,1 Mrd. Euro bei, wobei das um Sonder- effekte bereinigte EBITDA (vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) aufgrund von Investitio- nen und Restrukturierungsaufwänden, etwa für den Stellenabbau bei „Bild“ und „Welt“, um 14,5 Prozent auf 630,6 Mio. Euro schrumpfte. Ob der Konzern künftig die Bereiche Journalismus und Rubrikgeschäfte aufspaltet und Interesse an der Kleinanzeigensparte des Onlinemarktplatzes Ebay hat, ließ der CEO offen. Fest steht, dass sich Axel Springer nach 35 Jahren vom Kapitalmarkt verabschiedet hat und künftig unbeobachtet von der Börse seine Strategie umsetzt. Journalisten wie Döpfner haben ihre Zei- tungskarriere zu einer Zeit begonnen, als tagsüber recherchiert, spätabends gedruckt und in den frü- hen Morgenstunden ausgeliefert wurde. Für die Recherche brachten Boten schwere Mappen mit aufgeklebten Artikeln aus diversen Zeitungen, die Redakteure besuchten Pressekonferenzen, griffen zum Telefon und hatten bis 1997 – kein Google. Und dann kamdas Internet mit voller Wucht. 1996 etwa startete „Bild“ sein Online-Angebot, 2010 brachte Axel Springer die ersten Marken auf das iPad. Mit kostenlosem Content locken die Ver- lage seitdem ihre Leser ins Netz, die begeistert klicken. Dass die Gratismentalität dem Gewinn nicht guttut, die Erkenntnis kam spät. Schon zuvor hatten zwei historische Ereig- nisse in Berlin Hoffnungen geweckt und nicht erfüllt: der Mauerfall 1989 und der Regierungs- umzug zehn Jahre später. Hatten die West-Ber- liner Verlage nach dem Mauerfall zunächst auf ein automatisch vergrößertes Verbreitungsge- biet gehofft und vor allem die „Berliner Morgen- post“ und die „B.Z.“ vorübergehend von steigen- den Verkäufen profitiert, zeigte sich schnell: Die West-Berliner Presse lasen vor allem West-Ber- liner, und die Ost-Berliner Titel verkauften sich überwiegend imOsten. Mit der Talfahrt der Auf- lagen setzten die Herausgeber auf ähnliche Stra- tegien: Sie legten Redaktionen zusammen, bauten Stellen ab, unterzogen die Blätter immer wieder einem Relaunch des Relaunches, starteten teure Marketingaktionen, lieferten sich Preiskriege um Anzeigenkunden - und wechselten die Eigentü- mer, der Berliner Verlag gleich mehrfach. Ulrike Teschke, Geschäftsführerin beim „Tagesspiegel“ und zurzeit wie so viele im Homeoffice, erstellt Notfallpläne für Drucke- rei, Vertrieb, IT, Redaktion und hofft, so lange Mathias Döpfner Vorstandsvorsitzender Axel Springer SE Seit 2002 leitet Mathias Döpfner das Medienunternehmen, zu dessen Portfolio die Tageszeitungen „Bild“, „Welt“ und „B.Z.“ gehören. Rund 5.600 der insgesamt 16.000 Mitarbeiter sind am Konzernsitz Berlin tätig. FOTO: BLOOMBERG VIA GETTY IMAGES SCHWERPUNKT | Zeitungsstadt Berlin

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