Berliner Wirtschaft Mai 2020
A m 2. März meldet die „Berliner Mor- genpost“ den ersten Corona-Fall in der Hauptstadt. Nur acht Tage später sorgen die Zeitungen selbst für Schlagzeilen. Beim „Tagesspiegel“ hat sich der erste Mitarbeiter infiziert, zwei Tage danach folgt Axel Springer. Die Verlage reagieren umgehend, schicken ihre Beleg- schaften ins Homeoffice. Die Blätter erscheinen trotzdem, zunächst sogar in gewohntemUmfang. Doch die Pandemie trifft die Branche mit voller Wucht. „Das Anzeigengeschäft ist eingebrochen, wir haben zudem sofort alle Veranstaltungen und Leserreisen abgesagt“, sagt Ulrike Teschke, Geschäftsführerin des „Tagesspiegel“. Der Bun- desverband Digitalpublisher und Zeitungsverle- ger fürchtet, dass das Anzeigengeschäft umbis zu 80 Prozent abstürzen könnte. Kurz darauf mel- den erste Verlage Kurzarbeit an, ein weiterer Stel- lenabbau kündigt sich an. Massiv gestiegenes Informationsbedürfnis Die Zeitungen nutzen derweil das massiv gestie- gene Informations- und auch Unterhaltungsbe- dürfnis, um verstärkt mit längerfristigen kosten- losen Leseproben für ihre E-Paper zu werben. Online-Newsmarken melden Rekorde bei den Reichweiten und tun einiges dafür. Seit Ausbruch der Krise versorgen viele Titel ihre Leser mit kos- tenlosen Newslettern zur Coronavirus-Lage, die „Berliner Morgenpost“ hält Abonnentenmit Mut- mach-Podcast, Kochrezepten, Kinderseiten und Rätseln bei Laune und glänzt mit einer mehrmals täglich aktualisierten Infografik über die welt- weiten Corona-Fälle. Der „Tagesspiegel“ besucht – natürlich virtuell – die Berliner Firmenchefs im Homeoffice und schaut, wie es so läuft. Die „taz“ glänzt wie so oft mit der frechsten Schlagzeile: „Mein Enkel ist ’ne alte Corona-Sau“. Das Virus trifft die Presse zu einem denk- bar schlechten Zeitpunkt. An gewaltigen Her- ausforderungen mangelte es der Branche schon vorher nicht. Wie es um die Zeitungsstadt Ber- lin steht, in der zahlreiche Top-Verlage zu Hause sind, analysierte der Kreativausschuss der IHK Berlin 2019 in einem Report, der die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken (SWOTs) der Kreativwirtschaft unter die Lupe nahm, dar- unter auch die Verlage. Der stärkste Wettbe- werbsmarkt in Deutschland mit lokalen Abon- nementzeitungen, lokalen Boulevardzeitungen, Stadtmagazinen und Wochenblättern biete eine große journalistische Vielfalt. Verlage seien ein wichtiger und großer Arbeitgeber, hättenmit den vielen Neu-Berlinern eine neue Zielgruppe. Sie seien offen für innovative Medien und würden in moderne Techniken wie Redaktionssysteme, Newsrooms und digitale Strategien investieren. Soweit die Stärken und Chancen. Die Kehrseite des harten Wettbewerbs: Preiskämpfe bei den Anzeigen, geringeWirtschaftlichkeit der Berliner Printmedien, Konkurrenz durch ausschließlich digitale Medien, gefährdete Arbeitsplätze, stei- gende Gewerbemieten, Verdrängungswettbe- werb, und last but not least schließt die Liste der Schwächen und Risiken mit: Die Printauflagen sinken. Zwischen Ende 2000 und Ende 2019 sind die verkauften Auflagen (inklusive E-Paper) von „Bild Berlin-Brandenburg“, „B.Z.“, „Berliner Mor- genpost“, „Tagesspiegel“, „taz“, „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“ um satte gut 634.000 auf nur noch gut 534.000 Exemplare eingebrochen. Im gleichen Zeitraum stieg aber die Zahl der Ein- wohner Berlins um fast 400.000 auf 3,38Millionen Menschen. Mit welchen Geschäftsmodellen ver- suchen die Hauptstadtzeitungen, in der Zukunft zu bestehen?Was waren die Milestones seit 2000? Am Abend des 11. März 2020 stuft die Welt- gesundheitsorganisation die Verbreitung des Coronavirus als Pandemie ein. Seitdem gilt: Die Lungenkrankheit COVID-19 hat offiziell welt- weite Auswirkungen. AmMorgen desselben Tages hatte Mathias Döpfner, CEO der Axel Springer SE, in einer Telefonkonferenz mit Journalisten die 2019er-Zahlen erläutert und über seine Pläne gesprochen. Wie sich mit Journalismus online Umsatz machen lässt, das weiß kaum einer so gut wie der Manager, der den Verlag seit 2002 als Vorstandsvorsitzender durch die Zeitungs- krise führt. Während die regionale Konkurrenz noch nach einer gewinnbringenden Digitalstra- tegie sucht, hat der heute 57-Jährige nicht lange gefackelt. Im Jahr 2013 kündigt er den Verkauf der traditionsreichen regionalen Tageszeitungen („Berliner Morgenpost“ und „Hamburger Abend- blatt“) an die Funke Mediengruppe aus Essen an, weil sich der Konzern für die digitale Zukunft aufstellen wolle. Digitaler Journalismus wird gepusht Gepusht werden seitdemvor allemdigitaler Jour- nalismus und digitale Rubrikangebote, etwa mit dem Immobilienportal Immonet und dem Job- portal Stepstone. Finanzielle Rückendeckung holt sich eine der größten Verlagsgruppen Europas beim US-Investor KKR, der im Sommer 2019 bei demTraditionshaus einsteigt undmittlerweile FOTO: CHRISTIAN KIELMANN » Görge Timmer Geschäftsführer Berliner Morgenpost GmbH Seit 1898 gibt es die Traditionszeitung, nach der „B.Z.“ die zweitälteste in Berlin. 120 Jahre nach der Gründung, 2018, wurde Görge Timmer Geschäfts- führer der GmbH mit ihren heute 94 Mitarbeitern. 534 Tausend Exemplare verkaufte Auflage zählen sieben Tageszeitungen aus Berlin insgesamt – ein Rückgang ummehr als 600.000 Exemplare seit dem Jahr 2000. SCHWERPUNKT | Zeitungsstadt Berlin 18 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 05 | 2020
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