Berliner Wirtschaft Februar 2021

Z wei Drittel der Internet-Nutzer in Deutsch- land vermissen in der Corona-Pandemie ein Online-Angebot ihrer Geschäfte vor Ort. Fast 80 Prozent befürchten, dass Ein- zelhändler in ihrer Region das Jahr 2020 wirt- schaftlich nicht verkraften werden. „Die coro- na-bedingten Einschränkungen müssen ein Weckruf für wirklich jeden Händler sein. Auf zwei Beinen – vor Ort und imNetz – steht man als Einzelhändler auch in Krisenzeiten stabil“, unter- streicht Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digital-Verbandes Bitkom in Berlin. Was die mangelnde Online-Präsenz für die Shops bedeu- tet, hatte der HDE Handelsverband Deutschland unmittelbar nach Bekanntgabe des neuerlichen Lockdowns Mitte Dezember vorgerechnet. Der von den Ladenschließungen betroffene Han- del werde im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr rund 20 Prozent seines Umsatzes verlieren, so die düstere Prognose. Gleichzeitig erziele der Online-Handel ein Plus vonmehr als 20 Prozent. Kunden scheuen Kosten und Aufwand Über mangelndes Interesse auch von kleine- ren stationären Händlern können die E-Com- merce-Agenturen in Berlin nicht klagen. „Wir hatten nach Ausbruch der Pandemie mehr Anfra- gen als 2019“, sagt Dariusz Kowalczyk, Geschäfts- führer der 2012 gegründeten April&June GmbH, die zehn Mitarbeiter beschäftigt. „Nach einer ers- ten Beratung machen aber viele einen Rückzie- her, weil sie den Aufwand und die Kosten unter- schätzt haben.“ Von der Konzeption bis zu einer ersten Shop-Version vergehen laut Experten vier bis sechs Monate. Das Gros des Geschäfts macht Kowalczyk denn auch mit Bestandskunden und Händlern, die den Dienstleister wechseln. Die größten Wachstumschancen sieht die Branche beim Ausbau bestehender Shops. Die Berliner Agentur Basilicom GmbH etwa baute im vergangenen Jahr die B2B-Online-Shops für Kundenwie den Blumenhändler Fleurop und den Haustechnikspezialisten OEG aus. Für andere Kunden plant die Agentur Projekte zur Inter- nationalisierung des Online-Vertriebs. „Damit nimmt die Komplexität erheblich zu, weil das System unter anderem um mehrere Sprachen und Währungen oder bei Bestellungen in Groß- britannien umZölle erweitert werdenmuss“, sagt Geschäftsführer Arndt Kühne. Eine steigende Nachfrage beobachtet er nicht nur für techno- logisch anspruchsvolle Online-Shops, sondern auch für den Ausbau neuer Verkaufskanäle wie Shopping über Voice- oder Chatsysteme. Basili- com blicke trotz Corona auf ein erfolgreiches Jahr zurück. Auch wenn die Unsicherheit imMarkt im Jahr 2020 zu einem temporären Investitionsstopp geführt habe, seien gerade imE-Commerce hohe Umsatzzahlen generiert worden. Um sich an dem stark zersplittertenMarkt mit zahlreichen kleinen und einigen großen Playern abzuheben, setzen die Agenturen auch auf Allein- stellungsmerkmale. Neofonie, ein 1998 gegründe- tes Spin-off der TU Berlin, führt Forschungspro- jekte mit namhaften Partnern wie demFraunho- fer Institut und den Berliner Hochschulen durch. Im Fokus stehen Themen wie Suchtechnologien, die immer relevanter würden. „Wir sind nicht die verlängerte Werkbank für unsere Kunden, son- dern vor allem Impuls- und Ideengeber“, sagt Geschäftsführer Thomas Kitlitschko. Basilicom hat sich auf Product Information Management (PIM) spezialisiert. Ein PIM-System verwaltet alle Daten rund um die zum Verkauf stehenden Produkte, angefangen von Bildern, Texten, Preisen und auch technischen Daten. Viele Händler und Hersteller hätten in diesem Bereich noch großen Nachholbedarf, erklärt Kühne. Es mangelt an qualifizierten Mitarbeitern Trotz guter Wachstumsperspektiven mangelt es den Digitalagenturen nicht an Herausforderun- gen. Die größte: Zulegen können sie nur, wenn ausreichend qualifizierte Mitarbeiter an Bord sind. Kitlitschko von Neofonie hätte sein Team von 180 Kollegen im vergangenen Jahr gern aufgestockt. „In Berlin ist es heute eine riesige Herausforde- rung, Digital-Experten zu finden und zu binden.“ Jedes deutsche Industrieunternehmen sei mitt- lerweile mit einer Dependance für den Digital- bereich vertreten. „Alle suchen dieselben Leute, und wir müssenmit anderen Anreizen punkten“, so Kitlitschko. Deshalb habe sich der Fachkräf- temangel weiter zugespitzt. „Mit mehr Kollegen hätten wir noch stärker wachsen können.“  ■ Thomas Kitlitschko Geschäftsführer Neofonie GmbH Es ist eine riesige Herausforde- rung, Digital- Experten zu finden und zu binden. Mit mehr Kollegen hätten wir noch stärker wachsen können. In der Corona-Krise müssen Shops ihre Produkte auch im Netz anbieten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Digitalagenturen helfen Unternehmen dabei auf die Sprünge von Eli Hamacher Simone Blömer , Key Account Managerin Handel Tel.: 030 / 315 10-432 simone.bloemer@berlin. ihk.de FOTOS: GETTY IMAGES/JORG GREUEL, NEOFONIE 31 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 02 | 2021 BRANCHEN | E-Commerce

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