Berliner Wirtschaft 1/2020
tale Innovationsprojekte auf die gewünschten Ziele ausgerichtet werden. Muss Berlinwachsen, oder hat die Politik auch eine Alternative dazu? Stadtpolitik sollte nicht so weit gehen, zu entschei- den, wie viele Menschen wo leben dürfen. Das wäre eine planwirtschaftliche Komponente, von der ich nichts halte. Menschen sollten frei im Rahmen von Angebot und Nachfrage über ihren Lebensmittel- punkt entscheiden können. Politik hat die Aufgabe, im Rahmen des Möglichen adäquate Lebensbedin- gungen für alle zu schaffen – und zwar für die, die schon in der Stadt sind, und auch für die, die kom- men möchten. Menschen wollen dort leben, wo sie interessante Jobs finden – und das sind die Städte. Hat Politik keine Steuerungsmöglichkeiten? Doch. Vielleicht wäre es vor Dekaden klüger gewe- sen, auch ländliche Räume stärker zu fördern. Aber der Staat hat sich eben aus solchen siedlungspoliti- schen Steuerungsthemen zurückgezogen. Es ist nicht zwangsläufig so, dass Menschen Städter sein wollen. Wenn in Brandenburger Regionen die digitale Infra- struktur ausgebaut wird, kann ich mir sehr gut vor- stellen, dass sich Firmen dort engagieren und in guter Erreichbarkeit von Berlin dort Mitarbeiter ansiedeln. Ist die Verdichtung in urbanen Räumen aus ökolo- gischen Gründen begrüßenswert oder eher nicht? In kompakten Siedlungsstrukturen kann ich Nach- haltigkeit natürlich viel besser umsetzen. Ich brau- che darin keine fossile Automobilität. Ich muss aber natürlich die Dichte so organisieren, dass sie für den Menschen nicht zumStressfaktor wird. Es muss auch auf die Gerechtigkeit geachtet werden, also auf den Zugang zuWohnraumund auf Grünraum– auch den brauchen Menschen. Wenn das alles richtig orches- triert wird, können Städte zu sehr effizienten Räu- men für nachhaltige Lebensweisen werden. Was halten Sie von Bürgerbeteiligungen für die Stadtentwicklung? Das ist unabdingbar. Kopenhagen beispielsweise hat sich schon vor 30 Jahren das Ziel gesetzt, eine klima- neutrale Stadt zu werden. Die Strategien dafür wur- den sehr fein für einzelne Quartiere angepasst und in partizipativen Prozessen hinterlegt. Jedes Quartier ist ja anders. Die Projekte wurden mit den Bürgern gemeinsam umgesetzt. Partizipation ist ein wich- tiges legitimitätssteigerndes Instrument, vor allem dort, wo wir komplexe von Technologien geprägte Innovationsprozesse haben. ■ beste Möglichkeit, Zukunft vorherzusagen, ist, sie selbst zu gestalten. Das ist mein Credo. Deswegen ist die Frage nach der Digitalisierung jetzt so wichtig. Warum? Digitalisierung ist nicht per se gut oder schlecht. Jede Technologie ist zunächst ein blindes Instru- ment. Keine Technologie ist von vornherein pro- grammiert oder hat eine Richtung in sich. Es geht um die Ziele, die wir mit der Digitalisierung errei- chen wollen. Wenn Digitalisierung nur die Infra- strukturen der fossilen Zeit modernisiert, wirkt sie wie eine Art Brandbeschleuniger und macht das, was schlecht ist, noch schlechter. Wenn wir mit ihr aber nachhaltige Lebensstile fördern, schaffen wir Lösungen für die drängendsten Probleme dieser Zeit. Wie wichtig ist eine Digitalisierungsstrategie für Berlin? Sehr wichtig. Digitalisierung kann vieles sein: Robo- tik, künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, Konnektivität, Big Data, Augmented Reality. Da gibt es unterschiedliche Innovationslinien, die sich sehr komplex aufeinander beziehen. Diese Technologien können wir so oder so einsetzen. Ich halte es zum Beispiel für bedenklich, das digitale Management unserer Daseinsvorsorge den großen Datenkraken zu überlassen. Wir brauchen stattdessen Daten-Sha- ring-Modelle und Leitbilder für Berlin, damit digi- Heike Schöning, IHK-Expertin für Innovation Tel.: 030 / 315 10-331 heike.schoening@ berlin.ihk.de Dr. Lutz Kaden, IHK-Experte für Verkehr und Mobilität Tel.: 030 / 315 10-415 lutz.kaden@ berlin.ihk.de Erik Pfeifer, IHK-Experte für Energie und Klimaschutz Tel.: 030 / 315 10-234 erik.pfeifer@ berlin.ihk.de Stephan Rammler ist Experte für eine nachhaltige, post- fossile Mobilität Es geht um die Ziele, die wir mit der Digitalisierung erreichen wollen. Stephan Rammler 31 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 01 | 2020 SCHWERPUNKT | Interview
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